Hier finden Sie Zeitungsartikel, die in Zusammenarbeit mit oder von Frau Dr. Möws erstellt und in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht wurden..

Alkoholkonsum während der Pandemie gestiegen

(veröffentlicht in der Kompakt Zeitung – 2. Ausgabe September 2022)

KOMPAKT-ZEITUNG: Frau Dr. Möws, die „Global Drug Survey“, eine unabhängige Forschungsinstitution mit Sitz in London trägt weltweit Daten zum Drogenkonsum zusammen. Die jüngste Auswertung zum Jahr 2021 weist darauf hin, dass während der Pandemie der Alkoholkonsum angestiegen ist. Welche Ursachen sehen Sie als Suchtmedizinerin hinter dieser Entwicklung?

Dr. Jarmila Möws: Während der Corona-Pandemie saßen viele Menschen alleine zu Hause und griffen dabei häufiger zur Flasche. 43 Prozent der Befragten haben laut eigener Aussage während der Pandemie häufiger Alkohol getrunken als zuvor. Als Grund für das veränderte Trinkverhalten nannten die Befragten, in der Pandemie einfach „mehr Zeit dafür zu haben“ (42 %). Etwa 41 Prozent der Befragten gaben an, schlicht „aus Langeweile“ zu trinken. Andere wiederum wollten mit dem Trinken   Ängste und Sorgen kompensieren, die bei ihnen durch die Corona-Krise ausgelöst wurden. Da man in Zeiten eines Lockdowns öfter mit seinen Lebenspartnern, Mitbewohnern oder Nachbarn Zeit verbrachte, entstanden Gelegenheiten zum gemeinsamen Trinken.

KOMPAKT-ZEITUNG: Inzwischen heißt es, dass es keine Schließungen oder andere dramatische Einschränkungen mehr geben werde. Glauben Sie, dass der Drogenkonsum, insbesondere bei Alkohol, dann wieder abnimmt?

Dr. Jarmila Möws: Das wäre wünschenswert, erscheint mir jedoch eher unwahrscheinlich. Einerseits bewirkt das regelmäßige Trinken die Gewöhnung an höhere Alkoholmengen, wodurch die Gefahr einer Abhängigkeit steigt, andererseits setzt sich die gesellschaftliche Krisensituation fort. Sie wird sogar durch weitere Unsicherheiten wegen der Inflation und der Energiepreisentwicklung noch verschärft. Rund ein Viertel der Befragten gibt bereits heute schon an, dass sie eine Verschlechterung ihrer mentalen Verfassung wahrnimmt.

KOMPAKT-ZEITUNG: Sie stellen also eine negative Prognose auf?

Dr. Jarmila Möws: Gesellschaftliche Krisensituationen haben schon immer  unsere Psyche beeinflusst, und in dieser liegt nicht selten die Wurzel einer Abhängigkeit, egal welcher Art. Düstere Stimmungen werden für den Moment aufgehellt. Im Hirn entsteht eine Abhängigkeit zu stimulierenden Botenstoffen wie u. a. Dopamin, die für kurze Zeit euphorisierende Zustände erzeugen können. Solche Mechanismen treiben in die Sucht. Ich möchte es nicht versäumen, an dieser Stelle auf die unmittelbaren negativen Folgen von Alkoholkonsum und auf solche, die andere Drogen verursachen, hinzuweisen. Deutschland ist nach wie vor ein Land, in dem viel getrunken wird. Insgesamt summierte sich der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch von alkoholischen Getränken im Jahr 2021 auf rund 120,7 Liter. Im Prinzip kann Alkohol jedes Organ angreifen. Dazu gehören vor allem Herzmuskel-Erkrankungen, Leberzirrhose, Korsakow-Syndrom oder ein erhöhtes Krebsrisiko. Die Schwächung des Immunsystems sowie eine wesentlich verkürzte Lebenserwartung von ca. zehn Jahren sind mögliche gravierende Folgeerscheinungen. 
Das Wissen um die Folgeschäden führt leider in den meisten Fällen nicht zu einer Verhaltensänderung. Die tückische Gefahr liegt  in der langfristigen Regelmäßigkeit des Trinkens. Abhängigkeit und organische bzw. seelische Auswirkungen stellen sich nicht, mit Ausnahme der Folgen des akuten Alkoholrausches, von heute auf morgen ein. Das ist ein schleichender Prozess. Werden beispielsweise organische Folgen bemerkt, hat sich meist eine Abhängigkeit bereits etabliert.

KOMPAKT-ZEITUNG: Und dann bedarf es Hilfe und Anleitung von außen?

Dr. Jarmila Möws: Ich würde dann unbedingt professionelle Hilfe empfehlen. Bei einer Schädigung eines oder mehrerer Organe muss als erstes entgiftet werden. Das geht am besten unter einer engmaschigen medizinischen  Überwachung. Da viele Wege in die Abhängigkeit führen können, gibt es auch nicht nur einen Weg aus einer Sucht heraus.

KOMPAKT-ZEITUNG: Ist es möglich, trotz eines langen Trinkverhaltens die eigene Gesundheit wieder komplett herzustellen?

Dr. Jarmila Möws: Der menschliche Körper ist ein Wunderwerk an Regenerationsfähigkeit. Die meisten Organe können sich auch nach einem längerem Alkoholkonsum regenerieren. Immunsystem, Haut und Blutdruck können sich innerhalb weniger Wochen, Magen und Gehirn meist nach ein bis zwei Monaten erholen. Ist noch keine Leberzirrhose aufgetreten, stabilisieren sich Leber und Blutwerte schon nach ca. sechs Wochen. Allerdings muss dann tatsächlich ein qualifizierter Alkoholentzug absolviert werden. Der Phase der Entgiftung schließt sich dann eine konsequente Nachsorge in Form stationärer und/oder ambulanter Therapien zur erfolgreichen Entwöhnung an. Auf diese Weise erlangt man Lebensqualität und Lebensfreude zurück.

Fragen: Thomas Wischnewski